• Martin Calsow
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Sieben Mofa-Mucker-Songs des Großwerdens (Folge 3)

Iron Maiden | “666 - the number of the beast (bitte auch mit deutschem Akzent sprechen: ze biest!)
Paul Young | “Where ever I lay my hat…”
Michael Jackon | “Billie Jean”


Es gab schlimmen Pop, guten Pop und es gab Metal. Guter Pop war Michael Jackson, schlimmer Pop, aber damals sehr angesagt bei den Damen der Realschule, war Paul Young. Sah schlimm aus, und sang ebenso schlimmes Zeug. Aber von all diesen Modewellen unbewegt gab es bei heranwachsenden Männern den Hang zum Schrammel-Metal. Iron Maiden. Hier von Musik zu sprechen, fällt jedem Kenner schwer. Aber es war auf eine Art prägend für Jungs und in dieser Zeit eben cooool.

Am 1. Mai gallerte es immer. Nicht Fieseln, nicht Pladdern - Gallern. Es war der typische Landregen, dessen fette Wolken im Frühjahr von Westen kommend über das platte Münsterland zogen und sich an den Hängen der ersten Erhebung, dem Teuto, wie der lässige Provinzjugendliche zu sagen pflegte, über uns ausließ. Dazwischen gab es Regenpausen. Die galt es zu nutzen.

Wir waren jung, und es war Tradition, auf Rädern, die mit Birkenzweigen geschmückt waren, durch die Natur zu fahren. So die offizielle Version. Inoffiziell ging es um das Vernichten diverser Alkoholika, die damals in Mode waren. Appelkorn, Roter und für die Mädels Baileys. Ich stellte zudem einen Kassettenrekorder in der Größe eines Hamsterkäfigs zur Verfügung. Am Morgen stand ich in unserer Einfahrt und wartete auf die anderen. Der Pulk kam, klingelte wild mit den Klangkörpern an den Rädern, und hinter mir erschien der Alte. Ein Cop der alten Schule, der es fertiggebracht hatte, den Wagen unserer Mutter mit einem Strafzettel zu versehen. Der Alte ging um mein Rad herum, schüttelte den Kopf.
„Das Licht hinten ist kaputt.“
Tatsächlich fehlte die Birne. Aber die Freunde warteten. Ich sah Andreas, der erwartungsfroh neben seiner neuen Freundin Stephanie stand und euphorisch mit den Händen wedelte.
„Ja, ist aber egal. Bin bei Tageslicht wieder da“, versuchte ich, den Mangel zu kleinzureden. Es war sinnlos. Wieder wurde der Kopf geschüttelt.
„An der Tankstelle haben sie vielleicht eine.“
Die Freunde fuhren davon. Ich würde sie nicht einholen können, sondern später außer Atem und nüchtern auf eine betrunkene Horde treffen, deren Spaß-Level nicht mehr mit dem meinem korrelierte.

For I'm the type of boy who is always on the roam

Wherever I lay my hat that's my home

An der Tankstelle traf ich auf Dieter. Dieter war war eher von schlichtem Gemüt, konnte aber wie der Teufel Fußball spielen. Leider in der falschen Mannschaft. Ich hatte ihn am Sonntag zuvor rüde weggegrätscht, da mir die Technik fehlte, jedoch nicht der Hang zum taktischen Foul. Er hatte mir noch auf dem Spielfeld Schläge angedroht. Nun humpelte Dieter aus dem Kassenraum. Es gibt nur eine Angst, die man sein Leben lang abrufen kann: die des Kindes, das in der Falle sitzen und fürchtet, gleich auf die Fresse zu bekommen. Bis heute weiß ich, dass ich damals an der Aral-Tanke sofort zu schwitzen begann.
Aber Dieter, der eine Herkules besaß, die erstens aufgebohrt war, zweitens einen Gigantokrümmer hatte und drittens einen runtergezogenen Lenker, war cool. Das war er eigentlich immer. Obwohl er nicht die hellste Glocke im Turm war. Vom Gymnasium war er runter auf die Realschule, um ein Jahr später mit knapper Not den Hauptschulabschluss zu haben. Aber er sah schon mit 16 wie Paul Young aus. Haare hochtoupiert, breite Lippen und eine kernige Stimme. Dazu fuhr er immer mit dem Helm an einem Arm, den anderen Arm lässig auf die Beine gelegt, durchs Dorf. Das kam bei der Zielgruppe an. Wir, die wir maximal knutschen durften, munkelten, dass er schon mit Sandra aus Glane, die richtig große BHs trug, etwas gehabt hatte.

For I'm the type of guy who gives girl the eye
Everybody knows.
But I love them and I leave them

Dieter kam, sah mich und – pumpte mich an. Ich hatte wenig, es reichte gerade für die Lampe und eine rote Schachtel Marlboro, die sich Dieter gleich unter das T Shirt auf die Schulter klemmte.
„Wasn los?“
„Nichts. Wieso?“
„Feierste?“
Ich erklärte ihm, immer noch stark transpirierend, wie mein eigentlicher Tagesplan ausgesehen hatte, in der Hoffnung, dass er einen doofen Witz über „Gümmi-Idioten, die nur zum Baggersee fahren und Likör trinken“ machte und mich ansonsten in Ruhe lassen würde.
„Ich bring dich.“
„Najaa, ich komm schon klar.“
„Wollte sowieso in die Richtung. Ihr habt doch auch was zum Saufen dabei?“
„Sicher.“
„Und Mädels?“
„Ähhhh ... Jaaaaaa …“
„Stephanie?“ Er sprach das P aus, Steppanie. Fand das witzig.
„Wie kommste denn darauf?“
„Nur so.“
Die Freunde waren alle vom Gymnasium. Dieter, so schwante mir, wäre nicht willkommen. Aber wie sollte ich ihn jetzt von seiner Idee abbringen?
„Ich habe ne Iron Maiden Kassette aufgenommen, geht gut ab auf Appelkorn.“ Er lachte laut. Der alte Timpe in der Tankstelle schüttelte den Kopf.

The ritual has begun, Satan's work is done
6 6 6, the number of the beast
Sacrifice is going on tonight

Ich hing an seinem Arm, seine Herkules machte locker 60 Sachen und mit mir am Zipfel immer noch 40. Wir erreichten das Ziel, die Baggerseen in der Laerer Heide, fast zur gleichen Zeit wie die anderen. Aus dem Rüpel Dieter verwandelte sich der höflichste Mensch, den die Mädels jemals kennen gelernt hatten. Er half ihnen über die Abbruchkante nach unten, trug die Picknickkörbe und war der Einzige, der wusste, wie man den Grill anwarf. Wir sieben Jungs saßen auf einer nach Benzin riechenden Decke und mussten mitansehen, wie Dieter den fünf Damen, darunter eine ihn anglühende Isabell, den Moon Walk im Sand zeigte.

Billie Jean is not my lover
She's just a girl who claims that I am the one
But the kid is not my son

Es begann zu regnen. Nein, es gallerte. Wir stellten uns unter die Birken.
„Ey, lass uns schwimmen gehen. Nass sind wir eh‘“, fand Dieter, zog sich dabei schon die Schuhe mit den drei Streifen aus, während ich ihn in meinen braunen Schuhe von Kicker und einer vom Regen beschlagenen Brille nur verständnislos anglotzte.
„Saukalt.“ Sagte Andreas.
„Sind auch schon Leute ertrunken.“ Sagte Stefan, und deutete auf den Saugbagger, für uns einem mysteriösen Monster nicht unähnlich.
„Blödsinn. Ist 1. Mai. Die arbeiten heute nicht.“
Dieters Jeans lag im Sand. Dann die Kuttenjacke mit dem Iron-Maiden-Emblem.
Vier Mädchen grinsten. Vor allem Stephanie, mit dem P in der Mitte.
Waren unsere Körper noch deformiert und nur an den unmöglichsten Stellen schon ausgewachsen, hatte Dieter dank frühzeitiger Hormonschübe das volle Programm zu bieten. Und: Er trug eine rote Unterbuchse!
„Ich komm mit.“ Stephanie zog die Jacke, das Kleid und die Schuhe aus, rannte los, Dieter folgte und ließ Andreas mit einem entsetzten Blick zurück.
Ich wollte ihn trösten, und kam mit einem echten Mutti-Argument: „Am Montag hat’se ne Blasenentzündung.“
Andreas fuhr früher nach Hause. Wir anderen folgten. Unterwegs warfen wir die Birkenzweige in den Graben und stellten uns beim nächsten in das Häuschen einer Bushaltestelle. Der Kassettenrekorder war kaputt. Er hatte den Regen nicht gemocht und leierte.
„Hoffentlich kommt jetzt nicht Iron Maiden“, brummte Stefan. Wir lachten.

Stephanie wurde drei Jahre später schwanger. Von Dieter. Das Jahr darauf war es Stephanies Freundin Isabell. Die war weniger attraktiv, hatte aber reiche Eltern. Noch heute sehe ich Dieter, wenn ich in die Heimat fahre. Er fährt Mofa, immer noch Herkules, immer noch frisiert. Hinten drauf sein Enkel, auf dem Gepäckträger, ohne Helm, aber Dieter hat beide Hände wenigstens am Lenker. Und an seiner Maschine geht das Licht.

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