Sieben Mofa-Mucker-Songs des Großwerdens (Folge 2)
“Rock you like a hurricane”| Scorpions
Petra kam vom Hof. Und die Leute vom Hof waren eine eigene Liga. Nie Urlaub, fuhren mit den Eltern im Bauerndiesel-Benz am Sonntag zur Kirche und rochen im Unterricht ein wenig nach Stall. Sie kamen aus den winzigen Flecken im Umland der ohnehin schon überschaubaren Kleinstadt und hatten andere Tagesabläufe. Während wir am Nachmittag der Langweile frönten, saßen sie auf den Treckern ihrer Eltern, misteten die Ställe aus, halfen beim Kalben oder Ernten. Die Mädels waren stiller, aber kräftiger als die Mitschülerinnen, die zur Hautevolee des Städtchens gehörten. Dennoch gehörte auch ich zu denen, die sich über Auftritt und Geruch lustig machten. Sie nahmen es hin.
Petra war die Jüngere, würde also den Hof nicht bekommen. Das war dem Bruder vorbehalten. Dafür bekam sie die Kreidler Florett ihres Onkels, der damit einst nach dem Frühschoppen am Sonntag in Schlangenlinien auf der Bundesstraße nach Hause zu fahren pflegte – bevor er beim Güllen mit dem Trecker umfiel und in einem Wassergraben ertrank. Das war, als sie am Freitag seinen Kotten versteigert und die wenigen Kühe aus dem Stall getrieben hatten. „War zu oft in Bentheim in der Spielbank als aufm Hof“, hatte sie in der Großen Pause erzählt – auf Platt, so dass nur wenige von uns Kleinstädter es verstanden.
Petra wollte tanzen. Es gab Scheunenfeten, wo sie den ganzen Abend nur für sich tanzte, egal ob Moschen (also dem putzigen Schütteln des Kopfes zu Heavy-Metal-Klängen) oder Engtanz, sie blieb allein. „Die ist komisch“, sagten die Jungs, auch die mit den Höfen im Rücken. Aber singen konnte sie.
Ich stand nach einer dieser Mobildisco-Abende im strömenden Regen (es war also am Gallern) an einer Straße und übergab mich an einem Trafohäuschen. Schierhölter Korn und Bier – die Landmischung des Schreckens – hatten meinen Pubertätskörper außer Gefecht gesetzt. Petra und ihre Kreidler fanden mich. Sie nahm nicht den Helm ab, als sie fragte: „Wo musste hin?“ – „Iburg“ – „Hab’ keinen Helm, aber ich nehm‘ dich mit.“ Eine typische, fast ausschweifende Konversation im westfälisch-niedersächsischen Grenzgebiet, dem Kurdistan der Region.
Nun ist eine der größten Errungenschaften des Moppeds oder des „Bocks (wie man damals sagte) das Vorhalten eines Sozius. Natürlich um damit vorzugsweise einer Sozia zu imponieren. „Just wrap your legs 'round these velvet rims. And strap your hands 'cross my engines”, sang Springsteen einst in “Born to Run”. Petra hatte einen Walkman von Sony unter ihrem Lederhelm und setzte mir mit den unvergessenen Worten „Ist fast wie ein Helm“ die Kopfhörer auf. Aber sie hörte nicht den Boss, sie hörte eine Band aus der niedersächsischen Kapitale und sang auch ohne Kopfhörer „Rock you like a hurricane“ in den Fahrtwind der Nacht auf der Bundesstraße 51 von Glandorf nach Iburg. Der Regen, der Wind, der Korn – das war alles egal. Ich hörte die schlimmen Schenker-Gitarrenriffs und Petras lauten Gesang und das war mehr, als Springsteen oder das Leben versprechen konnten.
Die Scorpions waren bei jedem Rockliebhaber verhasst. Sie waren der musikalische Wackeldackel, der singende deutsche Vorgarten. Ohne Hemmung haben sie mit dem härtesten Akzent grauenhaftes Liedgut zum Besten gegeben. Aber in dieser Nacht, mit meinen Armen um Petras Hüften geschlungen, schrie ich mit. „Hier ai emm, rock ju laik a hörrikän“. Für eine Nacht keine Silage und keine Viecher, sondern Tanzen in den Morgen. An der schnurgeraden Stelle der Bundesstraße presste Petra ihre Schenkel hart gegen den Tank, breitete die kräftigen Arme aus und headbangte mir den Helm auf die Nase. Auch egal. Ich sang weiter. Nunmehr mit blutender Nase.
Petra hat dann geheiratet und führt heute einen Campingplatz in Cuxhaven. Ihr Bruder musste den Hof verkaufen, weil er Zucker hatte, ist jetzt beim Straßenbauamt auf halber Stelle. Und ich werde lange brauchen, um meine Mobylette freihändig fahren zu können. Zu viele Kurven in Bayern.
#rockyoulikeahurricane