Memorial Day
Briefe aus den USA
Am letzten Montag im Mai erinnern sich die Amerikaner an ihre toten Soldaten. Was bei uns im düsteren November eher verschämt an einer der noch düstereren Kriegerdenkmäler geschieht, ist hier eine Parade mit Fahnen, Brass Band, blankgeputzten Feuerwehrwagen und stolzen Veteranen mit Bauch in Uniform. Sie winken stolz, jeder behandelt sie mit ehrfurchtsvollem Respekt. Natürlich: Die ganz Alten haben die Welt vor dem Faschismus bewahrt. Unserem deutschen Faschismus. Aber da gehen auch jene, die man nach Korea, nach Vietnam und in den Irak geschickt hatte. Jene, für die es keine Paraden gab.
Mit dabei die Stützen der Gesellschaft: Die Feuerwehr, Polizei und der Rettungssanitäter. Letztere bekommen in einer überalterten Region besonders viel Applaus.
Zum Abschluss stehen sie stolz an einem Denkmal für die Opfer von 9/11. Ein Redner ist ein Veteran, dessen Beine in Vietnam geblieben sind. Am Ende seiner Ansprache, in der er von den „USA als beste Demokratie der Welt“ redet, macht er eine Pause, schaut auf seine Beine und sagt. „…und wenn sie mich morgen wieder fragten, ob ich nach Nam ginge, ich wäre sofort bereit.“ Großer Applaus bei allen, die noch ihre Beine haben.
Es ist genau jenes Selbstverständnis der Amerikaner, welches uns Europäer meist verstört. Immer nach vorn gerichtet, wollen sie die verlorenen Kämpfe nach 1945 vergessen, münzen sie um in Heldentaten, stehen stolz und blicken mit verklärtem Blick auf ihre Flagge, die an diesem Tag an jedem Haus hängt (auch bei uns!). Selbst der kleine Junge aus Guatemala, der neben den Veteranen steht, die alten Männer mit großen Augen ansieht, der in einem zu großen Anzug steckt, der aber hier in den Staaten zur Welt kam und somit zu diesem Land gehört, selbst dieser Junge will salutieren.
Und er ist die beste Erklärung, warum Erinnerung an Krieg hier immer positiv besetzt sein wird. Wer in dieses große und großartige Land kommt, lässt alles zurück, will nicht mehr nach hinten schauen, nur noch nach vorn. „burning bridges“ nennen sie das hier. Vergangenheit ist nicht gesund. Bei der Einbürgerung, der „Naturalization“, besteht für den US-Neubürger sogar die Möglichkeit, seinen Namen zu ändern. Mehr Anfang geht nicht. Und wenn man schon zurückblickt, will man auf Glorie schauen, nicht auf Tristesse, auf rechtes Handeln, nicht auf Fehler. Immer vorwärts. Niemals zurück. Das ist das Skelett dieses Landes. Manchmal funktioniert es – für die Menschen hier, selten für Menschen, bei denen die Kriege stattfinden.
Musikempfehlung:
https://www.youtube.com/watch?v=xTlsSXNT2bg