Briefe aus unserer Vergangenheit

Er schrieb, so oft er konnte. Aus Texas, wo sie ihn nicht wollten und Angst vor ihm hatten. Aus England, wo er mit Hunderttausenden auf den Sprung nach Europa wartete. Aus Paris schrieb er begeistert von Varietè und Burlesque-Shows. Dann aber kam auch für ihn den Krieg…

Abel J. war ein amerikanischer Soldat jüdischen Glaubens. Seine Tochter, eine gute Freundin, hat mir vertrauensvoll seine Briefe zur Verfügung gestellt. Ich erzählte ihr von meiner Arbeit an einem Nachkriegs-Thriller, von meinem Feinstein, dem jüdischen Immigranten, der als Polizist nach München 1948 ermittelt, von seinem zwielichtigen Partner Steinmüller, und sofort wollte sie mir helfen.

Die Briefe beginnen mit seiner Ausbildung zum Sanitäter im Süden Texas („wo sie sagen, dass sie drei Jahre brauchen, um den Krieg zu beenden: ein Jahr für Hitler, ein Jahr für die Japs und ein Jahr, um die Yankees aus Texas zu werfen“). Von 1943 bis zum Winter 1944 sind die Briefe von Humor und jungenhafter Aufregung geprägt. Dann kommt die Ardennenschlacht. Abel (dessen Name anders lautet, dazu später mehr). Binnen weniger Stunden erreicht ihn der Schrecken, er muss im Minutentakt Glieder amputieren. Von da an ist der Ton der Briefe anders, kürzer und härter. Dann endet der Krieg, und in den Briefen ist davon kaum etwas zu spüren. Es ist eher eine Erleichterung, ein Hoffen auf die baldige Rückkehr und ein Studium. Triumph und Überlegenheit? Keine Spur. Er, der bei einer Gefangenschaft als Jude kaum überlebt hätte, ist auf eine seltsame Weise offen und nahezu berührend freundlich in der Beschreibung der Deutschen. Jener Nation, die ihn und Millionen anderer auf grausame Weise auslöschen wollten. Ein Jahr nach Kriegsende kehrt er zurück. Seine Tochter ist eine wunderbare Frau, die uns freundlich und offen aufnahm, mit der ich Dachau besuchte und vor den Kammern schwieg. Die weiß, dass der Hass nicht aufhört, die aber mit mir glaubt, dass man dem Hass etwas entgegensetzen kann und muss. „Nothing is easy with us“, sagt sie mir und bleibt bewusst ungenau, ob sie damit die persönliche oder die nationale Ebene meint.

Eine Woche, nachdem sie mir die Briefe zur Verfügung gestellt hat, warnt die deutsche Regierung Juden davor, in bestimmten Regionen Deutschlands, meinem Land, die Kippa zu tragen, sich als gläubige Juden zu zeigen. Es hinterlässt Scham und Wut bei mir, der hier in den USA so stolz auf die demokratischen Errungenschaften seines Landes war (und zum großen Teil noch ist). Die Tochter schreibt mir, bittet darum, den Familiennamen nicht nutzen. Sie sagt es nicht. Aber es geschieht aus Angst. Unberechtigt? Wenn jemand in all den Jahrhunderten gelernt hat, zu Recht wachsam zu sein, dann unsere jüdischen Freunde.

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